Billi-Jean und Morgenstern Teil 6: Die Eisfestung
In der Stille und der Dunkelheit liegen wahre Schätze verborgen. Kannst du still sein? Hältst du die Dunkelheit aus?
In einer Welt in der Leistung alles ist was zählt, geraten die Stille und die Schätze der Dunkelheit ins Vergessen. Gedanken hetzen uns oft genug durch unseren Alltag. To Do´s die scheinbar nicht aufzuschieben sind türmen sich auf unserem Schreibtisch. Bei mir kam immer und immer wieder die Frage auf: wo ist sie nur hin, die Leichtigkeit des Lebens? Die Zeit, in der alles einfach schien und sich alles wie von selbst zusammengefügt hat. Eine Zeit in der auch mal ein Moment vorhanden war, um einem Tagtraum nachzujagen. Grau in Grau erschien mir die Welt und erinnerte mich an Michael Endes „Momo“. Irgendwie hatten sie es geschafft, „die grauen Herren“, mich als „Agentin ihrer Zeitsparkasse“ zu rekrutieren.
Mit tatkräftiger Unterstützung meiner Pferde hab ich die Stille wiederentdeckt und mich auf die Suche nach den verborgenen Schätze der Dunkelheit gemacht. Du auch?
Billi-Jean hat zwei wichtige Schätze gesammelt. Ist ihr wohl klar, was sie da in ihrem Rucksack durch die Lande trägt? Wird sie den Rat der Eis-Hexe annehmen und in der Stille und der Dunkelheit der Nacht nach Antworten suchen? Viel Spaß beim eintauchen in die Welt von Billi-Jean.
Die Eisfestung
Das Schneetreiben lies langsam nach und Sonnenlicht verhüllt in einem Schleier aus Kälte durchbrach die Wolkendecke. Billi-Jean und den Pferden fiel das Atmen plötzlich wieder leichter. Die zwei Wölfe, die den Trupp angeführten, fingen an zu heulen. Ein Schauer lief Billi-Jean den Rücken runter. „Wie gruselig“ sagte sie leise über ihre Schulter hinweg zu Sonnenschein, deren Augen weit geöffnet waren. „Du merkst es auch, richtig?“ Kaum hatte Billi-Jean die Frage gestellt, entspannte sich Sonnenscheins Augenausdruck wieder. Schneeball hielt an und das gesamte Wolfsrudel stimme ein Heulen an. Ein Kälteschleier schwebte heran und legte sich wie ein Tür Kranz als eine Art Bogen direkt dort hin, wo Schneeball stand. Das Heulen der Meute verstummte. Schneeball zog, von einem schnarchend-schnorchelndem Geräusch begleitet, ganz tief Luft in sich ein und stieß sie dann mit einem starken Schnauben aus. Sein Atem schien sich zu kristallisieren und nahm Platz im Kälteschleier. Billi-Jean war erstaunt. Direkt vor ihnen war ein mächtiges Tor aus Eis sichtbar geworden.
Magisch angezogen von den zwei Eiskristallen, die die Türöffner waren, ging Billi-Jean auf das Tor zu. Als sie ihre Hände auf die Eiskristalle legen wollte, um die Tore aufzudrücken, standen zwei Wölfe auf, fletschten die Zähne und knurrten. Billi-Jean erstarrte in der Bewegung. Panisch wurde ihr bewusst, dass sie einfach an Schneeball vorbei gegangen war. Sie wollte daher zurück auf ihren Platz im Trupp, aber die beiden Wölfe versperrten ihr den Weg. „Oh nein! Ich sitze in der Falle! Was soll ich tun? Es tut mir leid Wölfe. Das wollte ich nicht“ sprach sie leise und flehend. Morgenstern und Sonnenschein wieherte, scharrten, tänzelten so lange bis Billi-Jean ihren angstverzerrten Blick von den zwei Wölfen abwand. „Erstaunlich“ dachte sie, während ihr Blick Sonnenschein und Morgenstern fixierte. Aus den Augenwinkeln konnte sie wahrnehmen, dass die Wölfe sich setzten. Die beiden Pferde drehten sich, so dass ihre Hinterteile schräg zusammenstießen, ihre Körper sich aber voneinander wegspreizten. „Was macht ihr da?“ rief Bille-Jean erschrocken. „Wollt ihr jetzt allen Ernstes Streit anfangen?“ Die Pferde hielten inne und nichts geschah. Es dauerte eine kleine Weile und dann sah sie es. „Ihr stellt das „kleiner-als-Zeichen“ nach!“ sprudeltes es voller Begeisterung aus ihr heraus. Sie holte in Windeseile das Stück Pergament mit dem „<“ Symbol aus ihrem Rucksack.
Kaum war das Papier aus dem Rucksack befreit setzten Trommeln ein. Leise und wie aus der Tiefe des Ozeans drang das Trommeln durch die kalte Luft. Ein Singsang tiefer Stimmen setzt ein. Das Pergament begann goldig-warm zu schimmern und Billi-Jeans Hand wurde wie von Magie zu den Eiskristallen gezogen. Diese schmolzen langsam und als der letzte Tropfen getautes Wasser auf die Erde fiel öffneten sich die Tore. Ein weites Tal eröffnete sich, das mit Schnee wattegleich zugedeckt war. Die Sonne schien leicht und in der Mitte eines gefrorenen Sees stand sie, die Eis-Festung.

Die Wölfe drehten sich um und gingen davon. Schneeball setzte sich in Bewegung und schubste Billi-Jean auf die Seite, die noch voller Begeisterung den Augenblick genoss der sich ihr bot. „Hey, du Grobian“ lachte sie und nahm ihren Platz hinter Räuberbart wieder ein. Die Gruppe erreichte das Ufer des Sees und kam an der Brücke, die zur Festung führte, zum Stehen. „Nun, sieht nicht wirklich vertrauenserweckend aus, oder? Wie soll sie uns bloß alle halten?“ überlegte Billi-Jean laut. Noch während sie nach einer Lösung grübelte, setzten sich Sonnenschein, Morgenstern und Räuberbart in Bewegung. Sie steuerten auf einen Unterstand zu. Schneeball schubste Billi-Jean auf die Brücke und Herr Pergamentus kroch aus dem Rucksack hervor. „Ihr lasst mich allein?“, rief sie traurig und sorgenvoll den Pferden im Unterstand zu. Keiner der drei Pferde zeigte eine Regung und Schneeball schubste Billi-Jean hektisch und erbarmungslos weiter. Kaum hatten sie das Ende der Brücke erreicht öffnete sich das Tor und Schneeball machte auf dem Hacken kehrt und galoppierte wie ein geölter Blitz die Brücke entlang zurück zum Festland. „Hey, wo willst du hin? Komm zurück!“ rief Billi-Jean hinter ihm her, aber ohne Erfolg. Sie hob Herrn Pergamentus von ihrer Schulter und nahm ihn in beide Arme. „Sieht aus, als wären nur wir zwei über“, murmelte sie bedrückt.
Die eisigen Tore schlossen sich nachdem, Billi-Jean und Herr Pergamentus eingetreten waren. Sie ging immer der Nase nach und verließ den vierkant Innenhof, um eine große Hall zu betreten. Am Ende der Halle brannte ein Feuer und eine in weiß gekleidete alte Frau saß in einem Sessel vor dem Feuer. „Ich bin Billi-Jean, entschuldige die Störung. Ich möchte aus den Eishallen ein Pergament für mich holen“. „So, so“ sagte die Eis-Hexe „und was genau glaubst du berechtigt dich eine so heraufordernde Bitte zu stellen?“
Die Stimme der Eis-Hexe war streng und jedes Wort kam Billi-Jean vor wie ein Eissplitter, der die Haut verletzt. Ihr traten Tränen in die Augen. Tränen der Erschöpfung, Tränen der Unwissenheit, Tränen der Hilflosigkeit. „Ich weiß es nicht“ schluchzte sie „Ich gebe auf. Ich kann nicht mehr.“ „Eine einzige schroffe Bemerkung lässt dich aufgeben? Schwaches Wesen! Glaubst du denn alles fliegt einfach so zu dir, ohne dass du auch nur einen Finger rühren brauchst? Willst du das Land des Lichts finden, das dir Lukas gezeigt hat oder nicht? Deine Entscheidung!“ sagt die Eis-Hexe mit frostiger Stimme. Billi-Jean hörte auf zu schluchzen und blickte auf „Du kennst Lukas?“ fragte sie. „Ja und ich kenne dein Ziel. Also nochmal die Frage: was berechtigt dich eine solche Forderung zu stellen?“ Tief in ihrem inneren hörte Billi-Jean Trommeln und Singsang. Wie ferngesteuert griff sie nach dem Fetzen Pergament. Das Zeichen „<“ glühte gold-rot. „So kommen wir der Sache schon näher“ sagte die Eis-Hexe zufrieden und stand auf. Billi-Jean folgte ihr durch eine kleine Tür und einen schmalen Gang hinunter. Es eröffnete sich eine weite Halle mit unzähligen, riesigen Blöcken aus Eis. In kleinen Einkerbungen lagen Dinge, die Billi-Jean nicht deutlich erkennen konnte. „Da du Kenaz (<) bei dir trägst, weißt du was du zu tun hast“ sagte die Eis-Hexe mit frostig-kalter Stimme. „Sobald du hast, was für dich ist, verlass meine Festung. Suche in der Stille und der Dunkelheit der Nacht nach Antworten.“ Noch ehe Billi-Jean etwas sagen konnte, war sie mit Herrn Pergamentus allein. „Danke“ rief sie den kleinen Gang hinunter in der Hoffnung die Eis-Hexe würde es hören.
Sie hob Herrn Pergamentus wieder vor ihren Bauch und er setzte sich auf ihre gefalteten Hände. Langsam, rechts und links schauend ging sie den Gang hinunter. Herr Pergamentus richtet sich auf und gab einen Ruf von sich. Billi-Jean hielt an. Die Eule bereitete die Flügel aus und flog zu einem Eisblock links vom Gang. Billi-Jean folgte ihm und als sie am Eisblock ankam, hatte Herr Pergamentus bereits ein kleines Loch ins Eis gemacht mit seinem Schnabel. Billi-Jean fasste durch die Öffnung und griff nach dem Fetzen Pergament. Sie zog es heraus und betrachtete es mit großen, neugierigen Augen. Zu sehen war „I“. „Ein Strich. Wie aufregend“ ihre Stimme bekam wieder den leicht frustrierten Tonfall. „Nein, ich mache, was Elsa gesagt hat, und überlege mir was anderes als ein einfacher Strich.“ Mit diesem guten Vorsatz verließ sie mit Herrn Pergamentus die Eis-Festung.
Sie fand die vier Pferde ruhend im Unterstand am Seeufer und ließ sich erschöpft rücklinks in einen Berg voll Stroh fallen.
